Arbeitsgemeinschaft Allergiekrankes Kind
Hilfen für Kinder mit Asthma, Ekzem oder Heuschnupfen – (AAK) e.V.

Der "Grad der Behinderung"

1. Zur gesetzlichen Definition von "Behinderung"

Als Behinderung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung anzusehen, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht und eine GdB um wenigstens 10 bedingt.

Das Ausmaß der Behinderung wird mit dem Grad der Behindertung (GdB) bemessen.

Regelwidrig ist der Zustand, der von dem für das Lebensalter typischen abweicht.

Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten.

GdB ist der Grad der Behindertung, MdE Minderung der Erwerbsfähigkeit. MdE und GdB werden nach gleichen Grundsätzen bemessen. Sie sind ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung auf Grund eines Gesundheitsschadens. Im Folgenden wird von MdE/GdB gesprochen. Ab einem GdB von 50 liegt eine Schwerbehinderung vor.

Im folgendenden Text werden MdE/GdB im Sinne des Schwerbehindertengesetzes und des Steuerrechts verwendet, gmeint ist der amtlich bescheinigte Status.




2. Verfahrensweise bei Antragstellung

Der Antrag auf Feststellung einer Behinderung wird beim örtlich zuständigen Versorgungsamt gestellt. Dort erhält man auf Anfrage ein Antragsformular zusammen mit einem Merkblatt.

Sofern Sie im Besitz von Arztbriefen, Klinikberichten oder ärztlichen Gutachten sind, ist es sinnvoll, diese dem Antrag beizufügen.

Empfehlenswert ist es, alle Ärzte, die Ihr Kind bisher behandelt haben, anzugeben. Gleichzeitig mit der Nennung entbinden Sie die jeweiligen Ärzte von ihrer Schweigepflicht gegenüber dem Versorgungsamt.

In der Regel entscheidet der Arzt des Versorgungsamtes nach Aktenlage, im Einzelfall muß er jedoch abwägen, ob er weitere Ermittlungen oder Untersuchungen für erforderlich hält. Bei Allergikern ist jedoch der fachärztliche Befundbericht eine wichtige Grundlage für die Entscheidung.

Der Grad der Behinderung bezieht sich auf die einschränkenden Auswirkungen der Gesundheitsstörungen in allen Lebensbereichen. Hierzu dienen dem Arzt die vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen und veröffentlichten Anhaltspunkte. Ist eine Änderung im Gesundheitszustand zu erwarten, empfiehlt der Arzt einen Termin für die Nachprüfung.

Sollten sich zwischenzeitlich gravierende Verschlechterungen (wesentliche Änderungen) des Gesundheitszustandes einstellen, kann jederzeit eine Nachprüfung beantragt werden.

Mit Bescheid des Versorgungsamtes werden die Behinderungen bezeichnet und der Grad der Behinderung festgestellt.

Dieser Bescheid behält bis zu einer eventuell ausgesprochenen Änderung seine Gültigkeit und bildet die Grundlage für in Betracht kommende Nachteilsausgleiche.

Gegen Feststellungsbescheide der Versorgungsämter kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe schriftlich Widerspruch eingelegt werden.




3. Tabellen zur Bestimmung des MdE/GdB

Seit 1996 gültige Beurteilungskriterien (aus "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, 1996):

Bronchialasthma bei Kindern

  • geringen Grades 20–40
    (Hyperreagibilität mit seltenen (saisonalen) und/oder leichten Anfällen, keine dauernde Einschränkung der Atemfunktion, nicht mehr als sechs Wochen Bronchitis im Jahr)
  • mittleren Grades 50–70
    (Hyperreagibilität mit häufigeren und/oder schweren Anfällen, leichte bis mittelgradige ständige Einschränkung der Atemfunktion, etwa 2 bis 3 Monate kontinuierliche Bronchitis im Jahr)
  • schweren Grades 80–100
    (Hyperreagibilität mit Serien schwerer Anfälle, schwere Beeinträchtigung der Atemfunktion, mehr als 3 Monate kontinuierliche Bronchitis im Jahr)

Atopisches Ekzem ("Neurodermitis constitutionalis", "endogenes Ekzem")

Geringe, auf die Prädilektionsstellen begrenzte Ausdehnung

  • bis zu zweimal im Jahr für wenige Wochen auftretend – 0–10
  • bei länger dauerndem Bestehen – 20–30
  • mit generalisierten Hauterscheinungen, insbesondere Gesichtsbefall – 40
  • mit klinischer oder vergleichbar intensiver ambulanter Behandlungsnotwendigkeit mehrmals im Jahr – 50

Eine Beteiligung anderer Organe, insbesondere bei Atopiesyndrom (z.B. allergisches Asthma, allergische Rhinitis/Konjunktivitis) ist ggf. zusätzlich zu bewerten.




4. Das Merkmal der Hilflosigkeit ("H")

Definition von Hilflosigkeit

In den bereits mehrfach zitierten "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit" findet man unter der Überschrift Hilflosigkeit unter anderem folgende Definitionen und Erläuterungen:

"Als hilflos ist derjenige anzusehen, der infolge von Gesundheitsstörungen – nach dem Schwerbehindertengesetz und dem Einkommenssteuergesetz "nicht nur vorübergehend" – für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist.

Häufig und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen zur Sicherung der persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages sind insbesondere An- und Auskleiden, Nahrungsaufnahme, Körperpflege, Verrichten der Notdurft. [...] Unabhängig davon ist Hilflosigkeit auch dann gegeben, wenn Hilfe zwar nicht ständig geleistet wird, jedoch die betreuende Bezugsperson in dauernder Bereitschaft sein muss (wenn z.B. Hilfe häufig und plötzlich wegen akuter Lebensgefahr notwendig ist.) [...]

Ob ein Zustand der Hilflosigkeit besteht, ist damit eine Frage des Tatbestandes, die nicht allein nach dem medizinischen Befund beurteilt werden kann; diese Frage ist vielmehr unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände des einzelnen Falles zu entscheiden, wobei auch von Bedeutung sein kann, welche Belastungen dem Behinderten nach Art und Ausdehnung des Leidens zugemutet werden dürfen."

Bei der Beurteilung der Hilflosigkeit von Kindern und Jugendlichen gelten folgende Besonderheiten:

Es "sind nicht nur die [...] genannten "Verrichtungen" zu beachten. Auch die Anleitung zu diesen "Verrichtungen" und die Förderung der körperlichen und geistigen Entwicklung [...] sowie die notwendige Überwachung gehören zu den Hilfeleistungen, die für die Frage der Hilflosigkeit von Bedeutung sind.

Stets ist nur der Teil der Hilfsbedürftigkeit zu berücksichtigen, der wegen der Behinderung den Umfang der Hilfsbedürftigkeit eines gesunden gleichaltrigen Kindes überschreitet. [...]

Die Besonderheiten des Kindesalters führen dazu, dass zwischen dem Ausmaß der Behinderung und dem Umfang der wegen der Behinderung erforderlichen Hilfeleistungen nicht immer eine Korrelation besteht, so dass – anders als bei Erwachsenen – auch schon bei niedrigeren GdB-/Werten Hilflosigkeit vorliegen kann.

Beim Asthmasyndrom schweren Grades (siehe Tabelle) ist Hilflosigkeit in der Regel bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres anzunehmen (dauernde Überwachungs- und Förderungsnotwendigkeit, dauernde Bereitschaft einer Hilfsperson wegen lebensbedrohlicher Zustände durch Serien schwerer Anfälle).

(Hervorhebungen durch die Redaktion)

Zu allergischen Krankheitsbildern gibt es die konkrete Ausssage: Bei klinisch gesicherter Typ-I-Allergie gegen schwer vermeidbare Allergene (z.B. bestimmte Nahrungsmittel), bei der aus dem bisherhigen Verlauf auf die Gefahr lebensbedrohlicher anaphylaktischer Schocks zu schließen ist, ist Hilflosigkeit – in der Regel bis zum Ende des 12. Lebensjahres – anzunehmen (ständige Überwachung zur Allergenvermeidung – z.B. durch strenge Einhaltung einer Diät –, Notwendigkeit ständiger Bereitschaft einer Hilfsperson wegen der Gefahr eines anaphylaktischen Schocks).

Zu anderen allergischen Krankheitsbildern gibt es keine konkrete Aussage außer: Bei selteneren, in Absatz 4 nicht genannten Behinderungen ist die Frage der Hilflosigkeit unter Berücksichtigung des im Einzelfall erforderlichen Hilfebedarfs analog zu beurteilen.

In der Vergangenheit haben die Erfahrungen von einigen unserer Mitglieder gezeigt, daß es manchmal schwierig ist, die Anerkennung bezüglich einer vorliegenden "Hilflosigkeit" durchzusetzen. Deshalb werden wir im Folgenden die Argumentation von Eltern mit allergiekranken Kindern erläutern, die diesbezüglich den Weg über das Sozialgericht erfolgreich beschritten haben.
 

 



5. Das Für und Wider des Behindertenstatus bei allergiekranken Kindern und Jugendlichen

Es gibt keine unumstrittene Antwort auf die Frage, ob die Feststellung eines MdE/GdB bei schwer allergischen Kindern sinnvoll ist oder nicht. Für Eltern ist es deshalb wichtig, die Vor- und Nachteile in ihre Überlegungen mit einzubeziehen, um eine auf ihre persönliche Situation zugeschnittene Entscheidung treffen zu können.


"Außergewöhnliche Belastungen" im Steuerrecht

Der Nutzen einer amtlich festgestellten Behinderung besteht im Wesentlichen in steuerlichen Vorteilen für die Familie.

In der Pflege eines allergiekranken Kindes entstehen meist enorme Kosten. Für Aufwendungen hinsichtlich Ernährung, Wohnungssanierung oder Klimakuren sowie Begleitung, Betten und Bettzeug kommen Krankenkassen nicht immer vollständig auf (siehe AAK-Broschüre Nr. 62 "Kostenübernahme bei milbendichten Matratzenbezügen"), so dass viele Familien in finanzielle Nöte gerieten, durch "medizinisch notwendige" Maßnahmen, ohne die Möglichkeit der steuerlichen Entlastung. Die zusätzliche Belastung durch finanzielle Aufwendungen im Zusammenhang mit der ohnehin schon das Familienleben belastenden Krankheit läßt häufig die Feststellung einer Behinderung sinnvoll und ratsam und unter Umständen sogar notwendig erscheinen.

Psychologische Gesichtspunkte

Viele Eltern haben Vorbehalte, ihrem Kind den Behindertenstatus zuerkennen zu lassen – sicher, ihr Kind hat gesundheitliche Einschränkungen, aber es ist doch nicht blind oder auf einen Rollstuhl angewiesen.

Ein solcher Vorbehalt erscheint zweischneidig.

Fatal ist es, wenn sich hinter dieser abgrenzenden Haltung die Einstellung verbirgt, dass eine "Behinderung" ein Makel ist und die Vollwertigkeit eines Menschen damit in Frage stellt.

Möglicherweise versuchen Eltern auch zu vermeiden, der Tragweite des Problems ihres Kindes ins Auge zu sehen.

Viel angemessener dagegen erscheint uns der Versuch von Eltern, einen Balanceakt zu bewerkstelligen, nämlich: ein Höchstmaß an Normalität im Alltag zu erhalten, ohne dabei leugnen zu wollen, dass widrige Krankheitsumstände im gemeinsamen Leben eine Rolle spielen.

Dies aber scheint die Kunst zu sein, das Gleichgewicht zu wahren hinsichtlich Schonung und Anforderung im Wechsel der gesundheitlichen Erfordernisse. Es geschieht selten, daß Eltern ihre chronisch kranken Kinder überfordern. Vielmehr besteht eine große Gefahr für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes durch Unterforderung, nämlich dann, wenn der Bedeutung der Krankheit im Leben des Kindes und innerhalb seiner Familie zuviel Gewicht beigemessen wird.

Was aber hat das alles mit der Feststellung einer Behinderung zu tun?

Eine amtlich festgeschriebene Behinderung fällt meist, vielleicht unbemerkt, im Bewusstsein der Familie in die Waagschale der krankheitsbezogenen Schonhaltung. Ein solcher Sachverhalt prägt das Verhalten in entsprechender Weise und braucht, um das Kind vor der Gefahr der psychischen Invalidisierung zu schützen, ein Gegengewicht auf der Seite, von der aus das Kind mit normalen Anforderungen, bezüglich seiner gesunden Seiten (oder in symptomfreien Zeiten) konfrontiert wird.

Wichtig in jedem Fall ist es, dass das Kind ein gesundes Verhältnis zu seiner eigenen Leistungsfähigkeit entwickelt. Das bedeutet, dass es seine Identität als chronisch krankes oder behindertes Kind weder trotzig passiv, sich selbst unterfordernd, verarbeitet, noch in eine permanente Selbstüberforderung verfällt und über besondere Leistung die Behinderung wettzumachen versucht.

Es braucht hierzu eine gute Portion Selbstbewusstsein, das zu entwickeln selbst gesunden Kindern nicht selbstverständlich ist. Elterliche Überfürsorge verhindert, dass das Kind selbst die alltäglichen Hürden bewältigt, an denen es sich erproben, bestätigen und reifen könnte.

Ein wichtiger Leitsatz dazu könnte lauten: soviel "Normalität" wie möglich, sowenig Schonung wie nötig! Sofern dies umzusetzen gelingt, spricht nichts dagegen, sich über den ...